Mouhamed Lamine Dramé | desaströse Prozessbedingungen am 2. Prozesstag im Landgericht Dortmund

Sitzungssaal 130 des Landgerichts Dortmund

Kompromisslose Justizbeamt:innen, erneute knallharte Einlasskontrollen durch den Hintereingang, ein schlecht gelaunter Richter, schweigende Angeklagte und diverse Verbote für Besucher:innen der Verhandlung.

Gestern Morgen, am 10.01.2024 startete im Dortmunder Landesgericht der zweite Verhandlungstag bezüglich des am 08.08.2022, von der Polizei erschossenen Mouhamed Lamine Dramé. Schnell war klar, dass ein breites Interesse der Zivilbevölkerung in diesem Prozess nicht erwünscht ist.

Bereits am ersten Verhandlungstag, dem 19.12.2023 warteten an der Hamburger Straße viele Interessierte vergeblich auf den Einlass in das Gerichtsgebäude. Die Einlasskontrolle verzögerte sich, und zum eigentlichen Prozessstart hatte nur etwa die Hälfte der Wartenden Zugang erhalten. Etwa 50 Besucher:innen gelangten neben circa weiteren 50 Pressevertreter:innen am 19. Dezember in den Gerichtssaal 130. Auf Grund von Platzmangel konnten nicht alle Besucher:innen teilnehmen, die neben der organisierten Mahnwache vom Solidaritätskreis Mouhamed teilnehmen wollten. Die Angehörigen von Mouhamed Lamine Dramé, formal als Nebenkläger, waren ebenfalls nicht anwesend, obwohl sie den Wunsch geäußert hatten, persönlich am Prozess teilzunehmen.

Drei Wochen später sah die Situation rund um das Landgericht nicht viel besser aus und die Justiz war trotz der längeren Pause über den Jahreswechsel nicht mal ansatzweise angemessener auf einen Prozess dieser Größenordnung vorbereitet. Erneut mussten interessierte Besucher:innnen über eine Stunde, diesmal bei minus sieben Grad und unter den Augen vom Staatsschutz, vor dem Hintereingang an der Hamburgerstraße, mitten auf dem Gehweg warten, um dann einzeln in das Gerichtsgebäude zur Personenkontrolle zitiert zu werden. In der Kontrolle selbst begegneten einem sehr bestimmt auftretende Justizbeamt:innen, die schnell klar machten, wer hier das Sagen hat. So musste man sich unverzüglich neben den üblichen Kontrollen, die man vor einem Besuch im Gericht zu absolvieren hat, mit der klaren Anweisung, alle Gegenstände in Obhut der Beamt:innen zurückzulassen konform erklären. Ebenso wurde das Ausweisdokument, nicht wie bei vielen anderen Prozessen nur gegengecheckt, sondern es wurde gleich eine Kopie für die hausinternen Akten angefertigt. Zögerte man einen Moment oder fragte interessiert nach, warum diese Maßnahmen getroffen werden, entgegneten einem die Beamt:innen sehr unfreundlich, dass dies eine Anweisung des Richters ist und wenn einem das nicht passt, man hier nicht rumdiskutieren soll, sondern direkt wieder gehen kann oder zur Not auch aus dem Gebäude entfernt wird. Als Dank für die deutlich überzogenen Einlasskontrollen bekam am Ende der Kontrolle jede Person einen nicht ausgefüllten und nicht unterschriebenen Zettel des Gerichtes. Dieser beinhaltete eine persönliche Abholnummer für die eigenen Wertsachen, welcher schon fast Satire-Charakter hatte, da neben der Vielzahl an deutlich überzogenen Maßnahmen, wie beispielweise dem Verbot von Trinkwasser oder Uhren, dass einzige offizielle Dokument vom Gericht noch nicht mal regelkonform ausgefüllt wurde.

Im circa ein Meter breitem, nicht barrierefreiem Treppenhaus hatten somit die meisten Besucher:innen nicht viel mehr außer ihren Ausweis und etwas zu Schreiben dabei. Die wenigen, die eine der drei Sitzgelegenheiten auf dem Treppenabsatz ergattern konnten oder doch ihre Jacken und Mützen behalten durften, um sich noch etwas aufwärmen zu können, freuten sich hingegen ungemein. Im Sitzungssaal angekommen und von mindestens drei Justizbeamt:innen, bekleidet mit Handschuhen und Schusssicherer Weste, beobachtet, wurde man dann auf die Sitzplätze verwiesen. Positiv im Vergleich zum letzten Mal ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass durch die geringere Zahl an Journalist:innen circa fünfundsechzig Besucher:innen den Einlass gewährt bekamen und an der Verhandlung teilnehmen konnten. Kurz vor Verhandlungsbeginn nutzte eine besuchende Person dann nochmal die Möglichkeit und fragte nach der Toilettensituation, da man ja bereits seit etwa zwei Stunden warten würde. Klar und deutlich wurde auch hier von den Justizbeamt:innen herausgestellt, dass es heute wieder keine Sanitär-Möglichkeit für Besucher:innen gibt und man im Zweifel die Teilnahme, durch Verlassen des Gerichtssaals, komplett verwirkt. So könne man zwar die Sanitäranlagen am Haupteingang benutzen, was eine Rückkehr vor oder während des Prozesses jedoch unmöglich macht.

Um 10:20 Uhr, 50 Minuten nach angesetztem Beginn, startete dann nun endlich auch der offizielle Teil und der Vorsitzende Richter Thomas Kelm eröffnete die Verhandlung. Inhaltlich ist der Prozess im Vergleich zum ersten Termin nicht erheblich weitergekommen. Anfänglich ging es um einen Kommentar des vorsitzenden Richters, zur später im Prozess ggf. relevanten Bewertung einer Notwehrsituation. Danach wurde den angeklagten Polizist:innen die Möglichkeit gegeben sich zum jetzigen Zeitpunkt der Verhandlung äußern zu können, was alle angeklagten Personen ausschlugen. Im Anschluss machte die Nebenklage ihren Protest über die vom Richter erwähnte und in Aussicht gestellten unverwertbaren Aussage von Polizist:innen deutlich, worauf Richter Kelm sehr forsch, von oben herab und abstreitend reagierte. So sei seine zuvor getätigte Aussage bloß als eine Belehrung zu werten. Zum Schluss wurden dann noch die Ergebnisse bezüglich der Untersuchungen und Gegebenheiten des Tatortes durch Richter Kelm verlesen, der sich erst nach heftigen Widerworten und mit einer sehr patzigen Art darauf einließ, die Tatortfotos parallel dazu zur Verfügung zu stellen. Anschließend konnten nun die Schöffen des Prozesses im Schnelldurchlauf, über seine Schultern hinweg, die Fotos aus der Akte zur Kenntnis nehmen. Ganz im Stil von neuster Digitalisierung blieb der große Fernseher im Gerichtssaal jedoch aus. Im Anschluss daran wurde die Verhandlung um kurz vor 11 Uhr beendet.

Immer wieder schauten sich viele Besucher:innen des Gerichtssaals während der Verhandlung und diversen kleinen lustlosen verbalen Entgleisungen des vorsitzenden Richters fassungslos an. Es festigte sich die Wahrnehmung unter den Besucher:innen, dass Richter Kelm kein wirkliches Interesse an der Aufarbeitung des Falles hat und sich impulsartig von seiner schlechten Laune leiten lässt. Parallel dazu sorgten die stets auf das Publikum fokussierten Justizbeamt:innen für eine beklemmende Stimmung und keiner der Beamt:innen hielt es auch nur mal kurz für nötig seine Sicherheitshandschuhe während der ruhigen Verhandlung abzulegen. Als Besucher:in wurde einem somit stetig das Gefühl von Repression vermittelt und nach ein paar Minuten auf der Sitzbank, könnte man schnell das Gefühl haben, vielleicht doch selbst angeklagte Person im Gericht zu sein.

Abschließend festigt sich für uns nach dem zweiten Verhandlungstag weiterhin das Gefühl, dass die Teilnahme der Zivilbevölkerung an diesem Prozess gegen angeklagte Polizist:innen in Dortmund schlichtweg nicht gewollt ist und aktiv von Seiten der Justiz versucht wird diese zu behindern. Es ist für das Land Nordrhein-Westfalen, die Stadt Dortmund, das Landgericht Dortmund, die gesamte Justiz in Deutschland und Richter Thomas Kelm eine absolute Peinlichkeit und Armutszeugnis, dass in einem Prozess dieser Größenordnung und bundesweiten Tragweite, in einem solchen Umfang Menschen schikaniert und handlungsunfähig gemacht werden. Selbst wenn man die Weisung des Richters Kelm, elektronische Geräte im Gerichtssaal zu verbieten, unter Berücksichtigung von Prävention bezüglich Aufzeichnungen und Live-Berichterstattung, Anerkennung schenkt, gibt es keinen Grund dafür unbeteiligten Menschen, die lediglich aus eigenem Interesse teilnehmen wollen, Toilettengänge, Trinkwasser, wärmere Kleidung oder den Eingang durch den normalen Haupteingang zu verwehren. Genauso unverständlich ist, dass man es selbst am zweiten Prozesstag nicht hinbekommen hat die Eingangssituation angemessener zu gestalten, Wartezeiten bei Minusgraden vor dem Hintereingang zu minimieren, einen barrierefreien Zugang zu gewährleisten oder geschweige denn einen größeren, eventuell auch externen, Sitzungssaal für alle interessierten Personen zu organisieren. Man hält es ja noch nicht mal für nötig, vorab mögliche Besucher:innen über die außergewöhnlichen Umstände, für die es keine plausiblen Begründungen außer die Anordnung des Richters gibt, auf der eigenen Internetseite aufzuklären.

Uns zeigte der Tag heute somit erneut, dass dieser Prozess nicht unter Beteiligung der gesamten Öffentlichkeit geführt werden soll und man bei der Justiz anscheinend anders gewichtet, wenn die eigenen Kolleg:innen auf der Anklagebank sitzen. Rechtsstaatliche Prinzipien werden somit wieder einmal vom Staat selbst mit Füßen getreten und man reiht sich ein in diverse andere besorgniserregende Umstände was Repression und den Umgang mit Gerichtsverfahren angeht.

Dortmund wieder einmal ganz ganz peinlich und erschütternd…

 

Bildquelle Foto: Landgericht Dortmund