In Form eines Gedenkmarsches zogen am 09.10.2021 seit längerer Zeit mal wieder eine – für Dortmunder Verhältnisse – größere Menge Neonazis durch die Innenstadt bis nach Dorstfeld.
Grund dafür war der im Klinikum Dortmund Nord kürzlich verstorbene Siegfried Borchardt. Der in ganz Deutschland bekannte Neonazi und Althooligan, der in den Medien auch unter seinem Spitznamen „SS-Siggi“ bekannt war, ließ sich am 02.10.2021 aufgrund von massiven Beinschmerzen im Krankenhaus aufnehmen. Am Morgen selbst schrieb er noch in seinem Telegram Infokanal von einer Selbstdiagnose in Richtung Thrombose und dass er seine Abonnent:innen auf dem Laufenden halten wird. Am nächsten Morgen kam dann in Form eines Kurztextes lediglich die Benachrichtigung, dass Siegfried Borchardt nach kurzem Krankenhausaufenthalt in der Nacht auf den 3. Oktober im Alter von 67 Jahren verstorben sei. Die Dortmunder Naziszene sprach an dieser Stelle von einem „Schock für uns alle“ und ließ sich, wie erwartet, nicht lange bitten, sondern mobilisierte direkt für das kommende Wochenende zu einem bundesweiten Gedenkmarsch.
Der am Samstag durchgeführte Naziaufmarsch unter dem Motto „Siggi – Legenden sterben nie“ zog mit ca. 480 Teilnehmer:innen vom Dortmunder Hauptbahnhof bis auf die Ecke Thusneldastraße/ Emscherstraße, vor die letzte Wohnstätte Borchardts, wo eine Art Gedenkaltar aufgebaut wurde. Ob die Nazidemonstration aufgrund der bekannten früheren Gespräche zwischen Borchardt und dem Verfassungsschutz ein paar Teilnehmer:innen einbüßen musste, wird wohl eine hypothetische Überlegung bleiben.
Die rechte Demonstration, die aus unserer Sicht trotz der fast 500 Teilnehmer:innen unter ihrer Erwartung geblieben ist, wurde angeführt von vielen bekannten Gesichtern aus deutschen Nazizusammenschlüssen, ein paar Fackeln, Gedenkkränzen und Portraits von Borchardt.
Neben Michael Brück, der anscheinend zusammen mit ebenfalls ex-Dortmunder Christoph Drewer aus Chemnitz angereist war, wohnte seit Langem auch der mittlerweile in Meschede wohnende Dietrich Surmann der Demonstration bei. Dieser schnappte sich kurz nach seiner Ankunft in alter Manier direkt wieder eine Ordner:innenbinde. Ebenfalls nahmen bekannte Gesichter der internationalen Combat18 und Blood&Honour Bewegung, wie William Browning (UK), Stanley Röske (GER) und Marko Gottschalk (GER) teil.
Abseits von übermäßig bekannten Einzelpersonen war zudem gut zu beobachten, dass überregionale Nazistrukturen mit Delegationen vor Ort waren und so z.B. Voice of Anger, Arische Bruderschaft, Blood&Honour Schweiz, Bruderschaft Grimmen und weitere Strukturen vertreten waren.
Aus dem direkten Umfeld der Dortmunder Naziszene ließ sich ebenfalls alles blicken was Rang und Namen hat. So nahmen natürlich Gruppierungen und Zusammenschlüsse wie die Frontline Skinheads Dortmund Dorstfeld, die Borussenfront und diverse Neonazis aus Städten wie Hamm, Witten, Wuppertal, Köln, Aachen usw. teil.
Auffällig an dieser Stelle war natürlich der große Fußballbezug von Siegfried Borchardt, weshalb eine Reihe dem Fußballspektrum zuzuordnender Personen und Hooligans zum Gedenkmarsch kamen. Besonders zu erwähnen an dieser Stelle ist, dass verschiedene Personen während des Aufmarsches einen schwarz gelben Gedenkstrauß mit der Aufschrift Hooligans Dortmund trugen und sich somit als lokale Struktur übergreifend klar rechts positionierten.
Hinter einem großen schwarzen Banner mit dem oben genannten Motto der Demonstration und einem Konterfei mit Borchardts Gesicht darauf, liefen die Neonazis dann weitestgehend schweigend und von Musik begleitet am DFB Fußballmuseum, über den Wall, auf die Rheinische Straße bis nach Dorstfeld zu den Nazihäusern. Auf dem Weg dahin mussten sie an mehreren Gegenkundgebungen und Gruppen von linken Gegendemonstrant:innen vorbei. In Dorstfeld selbst hielt Thorsten Heise dann in Form eines Gedichtes die Abschlussrede und alle anwesenden Neonazis durften sich grüppchenweise vom Dortmunder Neonazi verabschieden.
Die Dortmunder Nazis riefen bereits im Vorfeld fast schon besorgt dazu auf angemessene Kleidung zu tragen und auch angemessenes Verhalten an den Tag zu legen. Dies versuchten sie vor Ort durch eine hohe Anzahl aktiver Ordner:innen zu gewährleisten und mussten immer wieder vom Zorn gepackte Neonazis zurück in die Reihen drängen. Diese fühlten sich durch hämischen Rufe des antifaschistischen Gegenprotestes auf der Rheinischen Straße oder einfach nur durch die pure Anwesenheit von linken Personen am Rand provoziert. Sichtbar angespannt, aber erfolgreich musste sich Rene Laube aus dem Aachener Land und Mitglied der Partei Die Rechte disziplinieren. Einen Großteil der Demonstration lief er mit starrem Blick voraus, umschloss mit der rechten Hand fest seine Fackel und ballte die linke Hand zur Faust. Nicht so erfolgreich an dieser Stelle waren bekannte Gesichter wie David Jungwirth, der nach kurzem Stehenbleiben von einem Ordner zurück an seinen Posten geschickt wurde.
Verwundernder als sonst ist in diesem Zuge, dass sich, trotz der Ansagen im Vorfeld, ein paar Neonazis nicht dazu genötigt fühlten nüchtern auf diese Veranstaltung zu kommen und „ihre letzte Ehre“ angemessen zu erweisen. Ein Teilnehmer musste sich bereits vor dem Start der Demonstration übergeben.
Am Schlusspunkt selbst war es dann doch sehr einfach zu erkennen, welche Neonazis Borchardt sehr nahestanden und wer eher aus Anstand und aufgrund des gemeinsamen Nenners rechts zu sein kam. Auf einer Seite sah man in sehr traurige Gesichter von beispielsweise vieler Personen der Borussenfront wie Sascha R.. Auf der anderen Seite gab es aber auch einen Großteil der Menschen, die lieber mit Kameraden nebenan plauderten oder mit ihren Handys Fotos vom Event machten.
Unterm Strich lässt sich also sagen, dass mit dem Tod von Siegfried Borchardt bestimmt einer der bekanntesten Neonazis aus Dortmund und vor allem der mit der längsten politischen Laufbahn in Dortmund und verschiedensten Zusammenschlüssen gestorben ist. In naher Zukunft noch einmal einen solch großen rechten Aufmarsch in Dortmund zu sehen ist eher unwahrscheinlich. Wir hätten an dieser Stelle allerdings mit mehr Support von rechts aus ganz Deutschland gerechnet und fanden die Größe der Veranstaltung zwar immer noch zu groß, jedoch kleiner, als erwartet.
Eine besondere Auswirkung auf die Dortmunder Naziszene ist aus unserer Sicht nicht zu erwarten, da die wirklich einflussreiche, aktive und bedeutende Zeit eines Siegfried Borchardts schon lange vorbei war und ihm bis auf ein paar Demonstrationen im Jahr, interne Treffen, eine Bleibe in der Thusneldastraße 3 und dem Alkohol nicht viel geblieben ist.