In unserem folgenden Leserbrief an die Zeitung Neues Deutschland nehmen wir Bezug auf den Artikel “Lukas Bals – Losgelöst aus dem braunen Netz” vom 11.10.2020. Wir wollten vor allem den Leser*innen an dieser Stelle einen Perspektivwechsel ermöglichen, in dem wir deutlich machen, dass wir mit dem aktuellen Umgang und der Rehabilitation von Bals in der Öffentlichkeit und vor allem in den Medien so nicht einverstanden sind.
Hallo liebes ND,
wir bitten um Veröffentlichung des folgenden Leserbriefs mit Bezug auf Sebastian Weiermanns Artikel “Lukas Bals – Losgelöst aus dem braunen Netz” vom 11.10.2020 online und im Print. Er soll keine Medienschelte sein, sondern uns und vielen anderen Antifas in Dortmund und anderen Städten, teilweise Betroffenen von Lukas Bals, hat der Artikel große Bestürzung, Unverständnis und Wut ausgelöst. Diese Perspektive fehlt im Artikel, daher ist uns sehr wichtig, dass dieser Leserbrief veröffentlicht wird.
Persilschein für Lukas Bals
Am 11.10.2020 veröffentlichte das Neue Deutschland den Artikel “Lukas Bals – Losgelöst aus dem braunen Netz” von Sebastian Weiermann. Er löste bei uns und vielen anderen Unverständnis und Wut aus. Lukas Bals wird in dem Artikel als sympathischer Aussteiger portraitiert. Weiermann zitiert Bals und wirft historische Anekdoten ein, doch Journalismus bedeutet gerade in solch heiklen Fällen kritisches Nachfragen, Recherchieren, Kontextualisieren. Das alles lässt der Artikel an wichtigen Stellen nicht erkennen.
“Bals behauptet, Linke hätten einen Übergriff erfunden. Da habe es ihm gereicht. Eine der Nazi-Aktivistinnen habe er gekannt, zu ihr sei er gegangen und habe davon erzählt. Anschließend wechselte er die Seiten.” Ist das der einzige Grund für seinen Übertritt zu den Neonazis, und sieht er das heute noch als berechtigten Grund? Hier fehlen zudem wichtige Informationen: Bals wurde nicht einfach nur rechts. Er gab Informationen über seine ehemaligen Wuppertaler Genoss*innen an die Nazis weiter, was sie massiv in Gefahr brachte, und war an mehreren Angriffen auf sie und später auch auf Linke in Dortmund beteiligt. Der Artikel müsste auch diese Informationen geben und die Perspektive von Antifas aus Wuppertal und Dortmund aufnehmen, um zu zeigen, welche Auswirkungen Bals Handeln hatte. Der Einzige, der im Artikel als Leidender der Umstände dargestellt wird, ist Bals, der ebendiese Umstände durch seinen Eintritt in die Nazibewegung selbst zu verantworten hat. Seine Kamerad*innen hätten ihn nie richtig gefragt, wie es ihm geht, und er sei auf Mallorca von Nazis krankenhausreif geprügelt worden. Ohne die Betroffenen passiert häufig, was auch hier geschieht: Weiermann übernimmt die Erzählung des Täters. Ein Schlag ins Gesicht für die, die Bals Wechsel zu den Nazis über Jahre in Schrecken versetzt hat.
Der nächste Punkt, an dem Weiermann auf nötige kritische Nachfragen verzichtet hat: Bals will laut Artikel nicht “der Nächste im Aussteigergeschäft werden”. Eine kurze Onlinerecherche führt zu einem anderen Schluss: Bals promotet seinen angeblichen Ausstieg auf Twitter und Instagram, er erzählt Schlaffer – ein ehemaliger Nazi, der heute sein Geld mit solchen Videos verdient – in einer aktuell erscheinenden mehrteiligen YouTube-Serie über sein Leben als Nazi, und dann bekommt er auch noch ein ausführliches Portrait im Neuen Deutschland.
“Lukas Bals positioniert sich jetzt gegen Extremismus” und will “nicht ins nächste Antifa-Café rennen und auspacken”, steht im Artikel. Hier übernimmt der Artikel Bals Erzählung vom Hufeisen: Erst war ich links, dann rechts, jetzt bin ich gegen Extremismus. Ist “Extremismus” der Grund, warum Bals mit seinem Neonazitum gebrochen hat? Wie steht er heute zu Rassismus, Antisemitismus usw.?
Nicht umsonst ist seit jeher eine in Antifakreisen klar vertretene Linie: Wer aus der Naziszene aussteigt, packt bei Antifas aus, bricht dadurch mit seinen alten Strukturen und stellt sich gegen seine Kamerad*innen. Lukas Bals ist lediglich kein Nazi mehr. Zum Aussteiger macht ihn das noch lange nicht. Und hier kommen wir zum größten Problem des Artikels: Er ist ein Aussteiger-Persilschein für Lukas Bals. Ein Autor wie Sebastian Weiermann und ein Medium wie das Neue Deutschland haben in der Linken eine hohe Glaubwürdigkeit. Auch nicht-linken Freund*innen kann Bals nun diesen Artikel zeigen und damit erreichen, dass sie ihm seinen Ausstieg abnehmen. Wenn man schon ein Portrait über einen “Aussteiger” schreiben will, dann nimmt man damit eine hohe Verantwortung auf sich. Der wird der Artikel nicht gerecht.
Mean Streets Antifa Dortmund, 19.10.2020
Bildquelle: Instagram Account „lukasbals“